Korea Report



3. Tag


Teil 2. Seoul, fließend.


Da wir bereits um 15 Uhr zurück in Seoul ankamen, war die Abenteuerlust nicht zu bändigen. Und da wir kaum die Möglichkeit hatten, uns die reiche Tierwelt der DMZ anzuschauen, war die Entscheidung klar - Bird-watching! Außerdem sollte der große, hellfarbige, auffällige Telezoom endlich zum Einsatz kommen. (Wozu sonst schleppte ich das Ding den ganzen Tag rum?)

[KTG] hat uns verraten, dass die beste Möglichkeit für Bird-watching in Seoul am Hangang River ist. Die Insel Bamseom beherbergt diverse Enten- und Raubvogelarten, die man vom Ufer Hangangs beobachten kann. Im Winter, wenn man aufmerksam liest.

Also fuhren wir bis Yeouinaru Station, stiegen aus dem Subway raus und sind auf der Stelle fast zugrundegegangen. Eine Garküche nebenan bot geschmorte Seidenraupen an - für alle Naschkatzen, die an einer akuten Rhinitis leideten. Oder den Hang zum ausgeprägten Geruchsmasochismus hatten. Mein empfindliches Näschen meldete dagegen: "Absolutes No-Go!" und "Laufe, Mensch, laufe!"

So erreichten wir geschwind das Ufer Hangangs. Der Ausblick ließ uns die Lungen voll frischer Luft holen.


Bei dem Bild ist kein einziges Pixel versetzt worden!

Der große Han (Gang bedeutet Fluß) kurvt in einer W-Form durch die Hauptstadt. Die Breite dieser mächtigen Seouler Aorta ist 175 Meter im Durchschnitt. Das ermöglicht es, die City vor einem Verkehrskollaps zu bewahren. Schauen Sie sich das Bild oben nochmal an - die Brücke, die parallel zum Ufer im Wasser steht, ist in Wirklichkeit eine Autobahn.

Außerdem bieten Hangangs Flanken genug Raum für 12 "Hangang Riverside Parks". Wir landeten in einem davon - Yeouido.

Dieser breite grüne Streifen entlang Hangangs wurde von den Hauptstädtern für aktiven Zeitvertreib benutzt. Jungs und Mädels spielten begeistert Fußball. Familienväter mit ihren Kids ließen farbenfrohe Drachen in die Luft steigen. Familienmütter breiteten allerlei Leckeres auf Picknickdecken aus. Eine Masse Sportbegeisterter auf Fahrrädern oder Rollschuhen bevölkerte die Parkallee. Ein Volksensemble verlieh seinem Auftritt den letzten Schliff, in prächtigen Kostümen und von dröhnenden Trommeln unterstützt. Verliebte Pärchen fuhren Modellauto-Rennen gegeneinander oder schlenderten den Han-Fluß entlang.


Die Frischverliebten - unten, auf dem schmalen Streifen am Wasser, vor den Augen Anderer versteckt. Paare mit solider Beziehungserfahrung - oben, auf dem bequemen, breiten Betonweg.

Bequemer, breiter Betonweg hin oder her - die Zeitangaben im [KTG]: 15 Min von der Station zur Brücke - sind wohl an ambitionierten Joggern gemessen worden. Das Licht schwand langsam, und wäre bei unserer Ankunft auf der Insel nicht mehr für Vogelfotografie ausreichend. Wir konsultierten noch mal den [KTG] und fanden endlich heraus, dass es sowieso nicht die beste Jahreszeit für Bird-watching war. (Schlampig geplant? Nein! Sie wissen schon - dynamisch und flexibel.)

Wir planten um und widmeten diesen Nachmittag den Seouler Wasserarterien. Die Hauptschlagader - Hangang in seiner vollen beeindruckenden Schönheit - haben wir bereits inspiziert. Als Nächster war der Cheonggyecheon Fluß an der Reihe.

Die Umgebung des Cheonggyecheon hat eine bewegte Geschichte. Bis in die 60-er Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts gehörte der Fluß denen, die sonst wenig in ihrem Leben hatten. In den 60-er und 70-er Jahren versuchte man, das Problem radikal zu lösen - Cheonggyecheon wurde zubetoniert und mit Autobahnen überdeckt. In den 80-er und 90-er war der Fluß dermaßen durch Abgasen verschmutzt, dass er sich in den Unterbau der Fahrbahnen einfraß.

Im Jahre 2003 holte man den flüssigen Rebellen aus seinem Betonkarzer und begann die Wiederbelebungsmaßnahmen. Seit 2005 trägt Cheonggyecheon wieder frisches, sauberes Wasser zum Hangang.

Heutzutage laden die Ufer des flinken kleinen Flußes zum Spazieren und Genießen ein.


Hier sind sie noch kunstvoll in Granit gekleidet, im weiteren Verlauf - mit Bambus bepflanzt. Im Wasser schwimmen zahlreiche, gesund aussehende Fische.

Aber die Umgebung des Cheonggyecheon bietet nicht nur frische Luft und entspannte Atmosphere, sondern auch mehrere Sehenswürdigkeiten. Zum Beispiel "Banchado", das Bildnis einer königlichen Prozession. Das Original ist ein illustrierter Bericht über die Reise des Königs Jeongno zum Grab seiner Eltern. Die Kopie, die sich am Ufer Cheonggyecheons befindet, stellt alle 1700 königlichen Begleiter und 800 Pferde liebevoll auf weißen Kacheln nachgezeichnet dar.


Grandiose Arbeit - das ist das größte Fliesenwandgemälde der Welt, 192 Meter lang. Beachten Sie dabei den beeindruckenden Detailsreichtum!

Auch kleinere Kunstwerke werden dargeboten - wie hier, einfach unter einer Brücke.


Das Cheonggyecheon Areal bietet außerdem jede Menge kulinarischer Genusse und Shopping-Möglichkeiten. Allerdings ließen wir uns dadurch nicht vom Weg abbringen - uns lockte Insadong.

Insadong, das Künstlerviertel, enttäuschte unsere Erwartungen nicht. Insadong feierte. Mildes Herbstwetter und langersehntes Wochenende sind doch Gründe genug, oder?

Aus einem Hinterhof floß grelles Licht auf die Straße. Laute Musik, Kampfschreie und Ausrufe des mitfiebernden Publikums waren zu hören - unwiderstehlich.

Mit entschlossenem Ganzkörpereinsatz und illegalen Kampfmethoden manövrierte ich mich und meine Kamera durch die Zuschauermenge. Nicht umsonst - eine lokale Taekwondo-Schule veranstaltete Wettkämpfe.


Höhere Schülergrade traten auf. Alle Kampfmethoden legal, die meisten Techniken bereits sauber - eine Augenweide. Die anderen anwesenden Kampfschüler gaben sich cool, die Menschen drumherum dagegen feuerten die Athleten aus Leibeskräften an.

Schade nur, dass die Show schnell vorbei war. Es war aber nicht das Einzige, was Insadong an diesem Abend zu bieten hatte.

Aus dem Gebäude um die Ecke waren wieder Kampfschreie und gut platzierte Treffer zu hören. Noch ein Wettkampf? Ich stieg die Treppe zur oberen Etage auf. Leider nein, bloß Automaten mit Pratzen und Boxsäcken. Ein paar davon wurden ordentlich in Beschlag genommen, ansonsten nichts Spannendes.

Also weiter, dem Menschenfluß folgend.

Der Menschenfluß strotzte übrigens vor Energie, die nicht unbenutzt bleiben durfte. Also beteiligten zahlreiche Handwerker die Spazierenden an ihrer Arbeit.


Zum Beispiel bereitete man hier gemeinsam den Teig für süße Reisküchlein - die beliebteste koreanische Leckerei. Dafür wurde das Getreide mit Wasser vermischt und mit einem Holzhammer zu Brei zerdeppert. Am Tresen nebenan wurden die fertigen Süßigkeiten verkauft.

Der nächste Verkaufsstand bot Bambusklopper an. Ja, im Ernst. Man nehme das Ding in die Hand und haue sich damit beherzt in die verspannte Schulterpartie. Oder dem Menschen daneben - aus purer Nächstenliebe, versteht sich. Klapp! Keine Ahnung, ob es hilft, aber populär ist die Methode auf jeden Fall - überall wurde geklappert.

Außerdem gab's Bilder, Keramik, Lackware, Stickereien, handgeschöpftes Papier, Kleidung und Schmuck koreanischer Designer in Kleinserie... Tief durchatmen, für Souvenirjagd ist am Ende der Reise Zeit, tief durchatmen...

Weiter im Straßenverlauf war wieder Musik zu hören, ein Volksensemble trat auf. Der Tanz sah eher nach Erntefest aus, das bereits Mitte September gefeiert wurde.


Aber, wenn das Herbstwetter so mild und das Wochenende so schön und friedlich ist, warum nicht nochmal tanzen?

Übrigens, eine der schönen Seiten Südkoreas ist - fast überall, wo wir waren, kann man mit einer dicken Kamera in den Händen durch die Straßen gehen. Man trifft dabei ständig Gleichgesinnte - entweder gehen sie selbst unter dem Gewicht ihrer Kamera gebeugt. Oder sie interessieren sich höflich für Ihre - welches Modell, welches Objektiv, sind Sie zufrieden? Raubüberfall - eher unwahrscheinlich.

Vor Hunger umzufallen - auch nicht, insbesondere in Insadong. Hier erleidet man eher die Qual der Wahl.

Nach mehrfachem Hin und Her und einigen Diskussionsrunden einigten wir uns auf ein Restaurant in einem historischen Gebäude. Das Haus wurde für die Koreaner des Mittelalters errichtet, somit ist die Höhe seiner Decken weder für moderne Koreaner, noch für moderne Europäer ausreichend. Ich erlebte ein Deja-vu - schon wieder gab's akustische Signale hinter mir, mit dem Kopf gegen die Balken. Diesmal ohne Schutzhelm und mit klar erkennbarem, zensiertem Brummen.

Das Essen - Tintenfisch - sah lecker aus und schmeckte nach einem traumatischen Erlebnis.


Stellen Sie sich vor - Sie haben einen Riesenhunger und sitzen vor einem appetitlich aussehenden Gericht. Und können es kaum essen, weil es so sauscharf ist!

Aber das war schon unser dritte Tag in Korea, und den Dreh hatten wir bereits heraus. Erstens, man kann die Schärfe durch viel Reis und Wasser abmildern. Zweitens, wenn man die Vorspeisen ganz auf isst, werden sie nachgefüllt. Und nicht alle davon sind scharf, zum Glück. Die zweite Methode ist allerdings unhöflich den Restaurantbesitzern gegenüber und sollte nur als Notlösung angewendet werden.

Nach dem Abendessen konnten wir uns der Müdigkeit nicht mehr widersetzen. Es war wieder ein langer, erlebnisvoller Tag - Demilitarisierte Zone, Seouler Flüsse, Insadong bei Nacht.


Wir schleppten uns aus letzter Kraft ins Hotel und schliefen ein, wie erschossen.

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